Taina Bucher zu Gast bei den ComAI Lectures – Jenseits der reibungslosen Zukunft der KI
Am 25. November 2025 war Prof. Dr. Taina Bucher (Universität Oslo) im Rahmen der ComAI Lectures zu Gast am ZeMKI. In ihrem Vortrag “Presenting AI: Slowing Down the Future” stellte sie die Frage, was auf der Strecke bleibt, wenn KI als Motor einer immer schnelleren, effizienteren und „reibungsloseren“ Zukunft gedacht wird: „Was geht verloren, wenn alles zu glatt läuft?“
Bucher argumentierte, dass dominante KI-Zukünfte vor allem auf Optimierung beruhen: Beschleunigung, Automatisierung, ständige Verbesserung. Diese Ideale verdrängen jedoch jene Formen des Menschlichen, die auf Langsamkeit, Brüchen, Unvollkommenheit und zeitlicher Offenheit beruhen. Das Nachdenken über die Zukunft der KI müsse deshalb nicht nur auf das gerichtete „Was kommt?“, sondern ebenso auf das sensibilisierte „Was könnte verschwinden?“ fokussieren. Es gehe um Praktiken und Erfahrungsmodi, die sich nicht ohne Weiteres der Logik des Automatisierbaren fügen – und deren Verlust gesellschaftlich folgenreich wäre.
Dafür entwickelte Bucher drei konzeptionelle Figuren, die dazu einladen, über alternative Gegenwarten jenseits der dominanten KI-Erzählung nachzudenken:
- The Clunky – das Sperrige, Unvollkommene, Unelegante. Diese Figur steht für jene Aspekte des Alltags, die nicht effizient, nicht glatt, nicht perfekt funktionieren, und gerade dadurch Raum für Kreativität, Unvorhergesehenes und soziale Aushandlung schaffen. Angelehnt an Michel de Certeaus Figur des Walkers, der sich nicht effizient durch die Stadt bewegt, sondern tastend und mit Umwegen: „Clunkiness“ zeigt, wie das Unperfekte Räume für Kreativität und Abweichung schafft.
- The Crack – der Riss, die Unterbrechung, das Nicht-Reibungslose. Gemeint sind kleine Störungen oder Brüche, die Routinen infrage stellen und produktive Momente der Reflexion eröffnen. In einer vollständig automatisierten Welt verschwinden solche Irritationen – und mit ihnen auch wichtige Impulse für Kritik und Veränderung. Inspiriert von Saidiya Hartmans Idee des Wayward, jenem Leben „zwischen den Normen“, das soziale Risse öffnet und Alternativen sichtbar macht. „The Crack“ markiert Momente des Innehaltens, in denen Routinen brüchig werden und neue Perspektiven entstehen können.
- The Chill – das Entschleunigte, Offene, Nicht-Dringliche. Diese Figur betont den Wert von Zeitlichkeiten, die nicht auf Effizienz ausgerichtet sind, sondern auf Präsenz, Ruhe und das Zulassen von Ambiguität. „Chill“ markiert eine Haltung, die nicht mit Beschleunigung konkurriert, sondern Alternativen sichtbar macht. In Bezug auf (unter anderem) Dostojewskis Figur des „Idiot“, der sich der Logik von Wettbewerb und Optimierung schlicht entzieht zeigt „ The Chill“ eine Form des Existierens, die sich nicht an Beschleunigung orientiert, sondern an Präsenz, Ruhe und Offenheit.
Gemeinsam bieten diese drei Figuren eine Perspektive auf Gegenwarten, die nicht von Automatisierungsversprechen überlagert sind – und ermutigen dazu, gesellschaftliche Räume für das Nicht-Optimierte, das Unabgeschlossene und das Widerständige zu schützen.
26. November 2025Fragen beantwortet:
Prof. Dr. Andreas Hepp
ZeMKI, Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung
Universität Bremen
Tel: +49 421 218-67620
Assistenz Frau Schober: +49 421 218-67603
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